Bestimmt wären ihm zwei Söhne lieber gewesen – Söhne, die in der pulsierenden Metropole Paris als Anwälte oder Staatsbeamte hätten Karriere machen, als Militärs den Namen ihrer Familie in alle Welt hinaustragen oder im schlimmsten Fall doch immer noch mit einer reichen Heirat die wirtschaftliche Sicherheit einer kommenden Stammhaltergeneration hätten sichern können.
Aber George Bertrand de Beauvoir und seine Frau bekamen zwei Töchter: Hélène, eine schöne und unkonventionelle Frau, die mit Picasso verkehrt und ihr Leben der Kunst verschreibt. Und Simone. In jungen Jahren will sie Nonne werden. Später wird sie als Philosophin Weltruhm erringen. Was sind die Grundgedanken ihrer feministischen Theorie?
Eine Tochter aus gutem Hause
Simone ist ein aufgewecktes Kind, sie liest, schreibt schon in jungen Jahren literarische Texte und macht am Gymnasium mit guten Leistungen auf sich aufmerksam.
Nach der Schule studiert sie Philosophie an renommierten Universitäten und besteht die Agrégation – die schwierige und prestigeträchtige Prüfung für französische Lehramtskandidaten. Tatsächlich aber steht zu dieser Zeit bereits fest, dass sie Schriftstellerin werden will. In diesem Entschluss bestärkt Simone ein junger Kommilitone, den sie im Umfeld der Elitehochschule École Normale Supériore kennengelernt hat. Sein Name: Jean-Paul Sartre.
Das andere Geschlecht
Unter dem Einfluss Sartres – aber auch im Wechselspiel mit ihm – wendet sich Beauvoir in ihren Studien der philosophischen Strömung der Phänomenologie zu.
Philosophische Gegenstände – so der theoretische Kern dieser Methode – können nur untersucht werden, indem man den Blick auf die Erfahrungen lenkt, die man im alltäglichen Umgang mit diesen Gegenständen macht.
Zugleich müssen diese Erfahrungen aber auch stets darauf befragt werden, was an ihnen wirklich authentische Erfahrung ist und was die Folge unkritisch mitgedachter Vorurteile, die als ein Spiegel von sozialen und historischen Realitäten vorgeben, wie wir bestimmte Gegenstände wahrnehmen sollen.
Sind Frauen das schwächere Geschlecht?
Überträgt man das phänomenologische Modell auf die Geschlechterrealität, wird deutlich, dass vieles, was man auf den ersten Blick für eine naturgegebene Tatsache halten könnte, in Wirklichkeit der Ausdruck etablierter – aber deswegen keineswegs unhinterfragbarer – kultureller Vorurteile ist.
Sind Frauen das schwächere Geschlecht? Unsere Alltagserfahrung sagt: Ja. Aber diese Alltagserfahrung ist von einer objektiven Einschätzung der natürlichen Gegebenheiten weit entfernt.
So sind es etwa die weiblichen Körper, denen im Durchschnitt eine längere Lebenszeit beschieden ist. Dass die vermeintliche ‚Stärke‘ des Mannes dagegen nur an Werten wie Größe, Gewicht und Körperkraft bemessen wird, ist ein Beispiel dafür, wie das Verhältnis von Mann und Frau nicht von der Natur bestimmt, sondern von gesellschaftlichen Voreinstellungen geprägt wird.
Diese und andere Überlegungen sind es, die Beauvoirs Hauptwerk, das 1949 erschienene Buch „Das andere Geschlecht“ zu einem Klassiker der feministischen Philosophie haben werden lassen.
Ihre bahnbrechende Analyse bildete die Initialzündung zu einer langen Reihe von Studien, die sich darum bemühten, die Stellen aufzuzeigen, an denen die Denkgebote traditioneller Gesellschaftsformen Strukturen erzeugen, in denen die Frau gegenüber dem Mann eine untergeordnete Rolle einnimmt.
Eine dieser Folgeuntersuchungen ist auch das Werk, das dem Feminismus in Deutschland breite Aufmerksamkeit verschafft hat: „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ von Alice Schwarzer. Schwarzer hatte in den 70er Jahren in Paris studiert und während dieser Zeit mit dem Intellektuellenpaar de Beauvoir/Sartre Bekanntschaft und – nach eigenem Bekunden – enge Freundschaft geschlossen.
Eine neue Welle
Diese von Beauvoirs Ideen bestimmte „zweite Welle des Feminismus“ ist mittlerweile von neueren Entwicklungen überholt. Heute sind es dekonstruktive Theorien wie die der Amerikanerin Judith Butler, die innerhalb der Gender Studies den Ton angeben, und sich teils scharf von Beauvoirs Pionierwerk distanzieren.
Dennoch bleibt ihr Ruf als einer bedeutenden Intellektuellen und klugen Kritikerin unzeitgemäßer Rollenbilder für Mann und Frau unangetastet.
Zu ihrem 110. Geburtstag am 9. Januar zieht der Playboy vor dieser großen Denkerin den Hut.
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