Text: Kregg P.J. Jorgenson / Aus dem Englischen übersetzt von Max Marquardt
Im Jahr 1969 bedeutete für uns Social Media ein mies gelaunter US-Army Sergeant, der uns laut „die Post ist da!“ in die Ohren keifte und danach die Kloschüsseln mit der Zahnbürste putzen ließ.
Post aus der Heimat – das war für uns in Vietnam alles. Besonders dann, wenn wir kleine Päckchen erhielten, gefüllt mit Leckereien von zu Hause, Liebesbriefen oder der neusten Ausgabe des Playboys. Meist hatte diese ein fürsorglicher Onkel oder ein guter Freund mit in das Paket gelegt – quasi als moralische Stütze für uns Soldaten.
Krieg ist immer eine miserable Erfahrung. Die Briefe und Päckchen waren für uns überlebenswichtig, weil sie etwas waren, worauf wir uns inmitten unserer unglücklichen Situation freuen konnten. Eine miese Politik und verfehlte diplomatische Chancen hatten uns letztlich nach Vietnam gebracht. Nun ging es darum, das Beste daraus zu machen, während wir Tag für Tag ein weiteres Kreuzchen in unserem Kalender abhakten.
Eine Welt ohne Frauen, dafür aber mit Schnellfeuergewehren
Damals war ich gerade mal 19 Jahre. Ein junger Infanterist in einer Welt ohne Frauen, dafür aber mit Schnellfeuergewehren, totbringendem Napalm und Agent Organe. Tay Ninh, Phuoc Long und Bin Long – das waren die Provinzen in Südvietnam, in denen ich meinen Dienst schob – völlig abgeschieden, irgendwo an der Grenze zu Kambodscha.
Hier gab es keine Städte oder Dörfer, noch nicht einmal Reisfelder, durch die man hätte waten können. Nein, unser Außenposten befand sich inmitten eines grünen Ozeans aus Dschungel, der bis in die Unendlichkeit zu ragen schien.
Doch anders als in den Tarzan-Filmen, war uns unser Dschungel alles andere als nett gesonnen . Überall kreuchte und fleuchte etwas in der Dunkelheit, wenn der Feind und nicht nach dem Leben trachtete, dann waren es Giftschlangen oder Raubtiere. Selbst das Wetter hatte etwas gegegen uns: Es war entweder heiß wie im Backofen oder wir ertranken halb in den sintflutartigen Regenschauern des Monsuns.
"In diesem Krieg war Leben zu retten für uns definitiv die bessere Alternative, als Leben zu nehmen"
In Vietnam gehörte ich einer Einheit an, die damit betraut war, die Mannschaften oder Piloten von abgeschossenen Hubschraubern zu retten. Dafür wurden wir mit Helikoptern zu den Absturzstellen geflogen. Dort seilten wir uns ab und versuchten, unsere Leute so schnell wie möglich zu evakuieren, bevor sie in die Finger des Vietcong oder der NVA (Nordvietnamesische Volksarmee) gelangten. Oder an ihren Verletzungen starben.
In diesem Krieg war Leben zu retten für uns definitiv die bessere Alternative, als Leben zu nehmen.
Der unsichtbare Kampf
Doch es gab noch einen zweiten, unsichtbaren Kampf, den wir in Vietnam austragen mussten: Der Kampf gegen die Monotonie, Langeweile und Einsamkeit.
Wenn wir unseren täglichen Dienst in den Schützengräben oder Sandsackbunkern schoben und nachts den Leuchtkörpern in der Luft zusahen, wie sie mit einem Zischen den Himmel ausleuchteten, dann hatten wir viel Zeit nachzudenken. Darüber, wie es wohl gerade zu Hause sein mochte. Was unsere Familien gerade täten, oder ob unser Schwarm schon mit einem anderen im Bett lag, während wir gegen einen Feind kämpften, den wir so gut wie nie zu Gesicht bekamen.
Unser Zuhause nannten wir „die Welt“. Dort gab es all das, was wir im dampfenden Dschungel dieses fernen Landes fehlte. Sie versinnbildlichte für uns die Zivilisation, den Hort unserer Sehnsüchte.
Der Playboy - der Vorreiter eines neuen Zeitgeists
Für uns junge Soldaten war der Playboy ein wichtiger Teil dieser „Welt“. Der Playboy war eine kurzzeitige Flucht, ein flüchtiger Blick auf das, was hinter dem Krieg auf uns wartete. Ein besseres Leben mit schönen Frauen, schicken Klamotten die, anders als unsere Uniformen, nicht mit rotem Schlamm besudelt waren. Eine Welt teurer Sportwägen, besserem Essen als unsere fürchterlichen C-Rationen.
Es waren vor allem die kontroversen Essays im „Playboy Forum“, die Interviews, die preisgekrönten Artikel und mutigen Kommentare, die uns zum Nachdenken und zu ausschweifenden Diskussionen animierten. Keine Frage, der Playboy war für uns der Vorreiter eines neuen Zeitgeists – und wir waren ein Teil davon.
Wir teilten uns Ausgabe für Ausgabe
Beim Durchblättern der Seiten stießen wir auf die zeitlosen Pin-Up Zeichnungen des peruanischen Künstlers Alberto Vargas, die Geschichten von Ed McBain, Graham Greene, John D. McDonald, Asa Baber und vielen anderen. Sie fesselten uns ab den ersten Zeilen.
Fasziniert waren wir auch von einem singenden Tony Bennett oder Marvin Gaye bei Playboy After Dark. Und dann gab es da noch die durchaus provokanten Interviews mit Ray Charles, William F. Buckley, William Kunstler, Justice William O. Douglas oder Joan Baez.
Wir teilten uns Ausgabe für Ausgabe – wie ein Zepter hielt es jeder mal in den Händen, schmökerte oder las darin. Durch den Playboy eigneten wir uns eine differenzierte Denkweise an. Wir hinterfragten Dinge, an die wir möglicherweise vorher gar nicht gedacht hätten. Zum Beispiel darüber, was nach dem Krieg aus uns werden sollte und ob das, was wir in Südostasien taten, wirklich einem guten Zweck dienlich sei.
Hugh Hefner half uns, von der süßen Freiheit zu träumen
Naja – und dann waren da natürlich noch die Klappseiten: Miss Januar, Februar und all die anderen Playmates des Monats, die wir mit weit aufgerissenen Augen und offenen Mündern immer wieder aus- und einklappten.
Ah, die Playmates! Unerreichbar? Vielleicht. Aber nicht für die Phantasien von uns jungen Soldaten, die stets die Hoffnung in sich trugen, eines Tages auch ein normales Leben führen zu können und die süße Freiheit auszukosten, die wir im Playboy sahen. Hugh Hefner half uns dabei, während wir auf den Feldbetten unserer Barracken in Vietnam lagen und vor uns hinträumten.
Der Playboy war unser Spiegel, in dem wir wieder die jungen Männern sahen die wir vor unserer "Tour of Duty" gewesen waren. Als der Nervenkitzel noch darin bestand, ein Mädchen auszuführen, und nicht, einen anderen Menschen zu töten.
Die Playmates waren die Pin-Up-Girls des Vietnamkriegs
Das Magazin motivierte uns dazu, selbst kreativ zu werden und Themen zu hinterfragen. Es schärfte unser Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit in einem Format, das auch für erotische Ästhetik, Kunst und anspruchsvollem Humor stand.
Trotz des Leids, das wir in Vietnam sahen, brachten uns die Cartoons von Buck Brown oder die Party-Jokes immer wieder zum schmunzeln. Sie hoben unsere Stimmung und die Centerfolds trugen den Rest dazu bei.
Die Playmates wurden die Pin-Up Girls des Vietnamkriegs. Sie gaben uns eine neue Perspektive auf das, was Thomas Mann bereits Jahrzehnte zuvor beschrieben hatte: „Welch wunderbares Phänomen, sorgfältig betrachtet, wenn das menschliche Auge, jenes Juwel organischer Perfektion, seine Brillanz auf ein anderes menschliches Geschöpf projiziert." Oh Tommy – wie recht du nur hattest.
Die Bücher von Kregg Jorgenson sind über Amazon erhältlich. Sein neustes Buch ist ein fiktiver Roman über einen Einsatzhund in Afghanistan.
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