Mr Scorsese, heute schon Hass-Mails von aufgebrachten Christen bekommen?
(Lacht) Nein, für „Silence“ hat mich bis jetzt niemand der Blasphemie bezichtigt.
Im Gegensatz zu Ihrem Film „Die letzte Versuchung Christi“. Da sind vor knapp 30 Jahren die Ultras unter den Katholiken fast Amok gelaufen.
Na, so schlimm war es nun auch wieder nicht. Einige Leute haben den Film jedoch in den falschen Hals bekommen. Sie konnten nur schwer verdauen, dass Jesus vom Kreuz herabgestiegen ist, um mit Maria Magdalena ein Kind zu zeugen. Aber ich wollte damit niemandem in seinem Glauben verletzen.
Stimmt es, dass Ihnen ein New Yorker Bischof nach einer Vorführung von „Die letzte Versuchung Christi“ den Roman „Silence“ empfohlen hat, den Sie nun verfilmt haben?
Ja. Sie sehen, Gottes Wege sind oft sonderbar. Mich hat dieses auf historischen Tatsachen beruhende Buch sofort gepackt. Es handelt von zwei Jesuiten-Priestern, die im 17. Jahrhundert nach Japan reisen, um dort ihren geistlichen Mentor aufzuspüren. Von dem es heißt, er hätte unter schrecklichen Foltern seinem christlichen Glauben abgeschworen.
Es geht also wieder um Glaube?
Und um Zweifel, Hoffnung, Verzweiflung, vielleicht auch um Erlösung. Und somit um die Blaupause für mein religiöses Leben. Wahrscheinlich hat mich diese Geschichte deshalb 30 Jahre lang nicht mehr losgelassen.
Warum hat die Umsetzung so lange gedauert?
Immer kam etwas dazwischen. Mal klappte die Finanzierung nicht, dann sprang das Studio ab, oder ich hatte persönliche Probleme, die mich davon abhielten. Ehrlich gesagt, bin ich überrascht, dass es jetzt geklappt hat.
Für die Hauptrolle haben Sie sich den Ex-„Spider Man“-Darsteller Andrew Garfield ausgesucht. Wollte Ihr Lieblingsschauspieler Leonardo DiCaprio den Film nicht machen?
Er ist mittlerweile leider zu alt dafür. Mit Andrew Garfield habe ich das große Los gezogen. Er ist schlicht spektakulär.
Warum wurde „Silence“ eigentlich in diesem Jahr nicht als bester Film für den Oscar nominiert?
Das fragen Sie ausgerechnet mich? Ich habe keinen blassen Schimmer, nach welchen Kriterien da nominiert wird. Ich bin sehr froh, dass ich vor zehn Jahren für „Departed – Unter Feinden“ endlich einen Oscar bekam. Seitdem kann ich wieder ins Restaurant gehen, ohne dass mich jemand fragt, warum ich noch keinen bekommen habe. Das war seit „Taxi Driver“ nämlich die Regel.
Stimmt es, dass Sie ursprünglich selbst Priester werden wollten?
Ja, ich war in meiner Jugend ein guter Katholik, der jeden Sonntag in die Kirche ging. Ich war sogar Ministrant. Mir hat der Glaube damals sehr viel Kraft gegeben. Aber ich wurde nicht ins Priesterseminar aufgenommen.
Warum?
Weil ich die Berufung zum Priester dann doch nicht so stark spürte.
Ein Glück für uns. Haben Sie jemals bereut, dass Sie stattdessen Filmemacher wurden?
Nein, überhaupt nicht. Seit ich 20 Jahre alt war, gehört meine ganze Leidenschaft dem Filmemachen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass der Unterschied zwischen den beiden Berufen gar nicht so groß ist.
Sind Sie noch religiös?
Ja. Filme und Religion – in meinem Leben gab es nie etwas anderes.
Woher kommt denn dieses Verwurzeltsein im Glauben?
Das hat mit meinem Asthma zu tun, unter dem ich als junger Mensch sehr zu leiden hatte. Und mit der Tatsache, dass ich in Little Italy aufgewachsen bin.
Wie meinen Sie das?
Meine Eltern waren nicht sehr religiös. Sie standen wohl noch unter dem Eindruck ihrer Eltern, die mit der Kirche in Sizilien sehr schlechte Erfahrungen gemacht hatten. Mir hingegen hat der Glaube immer viel Kraft gegeben, um mit meiner Krankheit fertigzuwerden. Und ich hatte das Glück, in Little Italy einen Priester kennenzulernen, der mich als Mentor unter seine Fittiche genommen hat. Pfarrer Francis war tief gläubig und gleichzeitig auch ein Freigeist.
Wie geht das zusammen?
Er hat mir gezeigt, dass es auch noch eine andere Welt gibt, anders als die kleine, hermetisch abgeschirmte und sehr angst-einflößende Welt, in der ich aufwuchs. Und er hasste sentimentale und kitschige Religionsfilme, wie zum Beispiel „Das Gewand“. Er ging oft mit uns Ministranten ins Kino.
Haben Sie durch ihn die Liebe zum Film entdeckt?
Ich ging auch oft allein ins Kino. Kino und Kirche hatten eine beruhigende Wirkung auf mich, die mir sehr guttat. Ich bekam nämlich gegen mein Asthma starke Medikamente, die mich sehr nervös machten.
Durch Ihre Krankheit wurden Sie schon früh zu einem stillen Beobachter?
Mir blieb ja nichts anderes übrig. Ich durfte nicht an sportlichen Betätigungen teilnehmen. Nicht einmal draußen auf der Straße mit anderen Kindern herumrennen. Mein Arzt verbot mir sogar heftiges Lachen.
Heftiges Lachen?
Ja, wegen der angeblichen Erstickungsgefahr. Ab und zu hatte ich – bei einem ganz normalen Asthmaanfall – tatsächlich Todesangst. Also zog ich mich häufig in mein Schneckenhaus zurück und war sehr oft allein.
Wie hat sich das auf Ihre Psyche ausgewirkt?
Ich bekam ganz feine Antennen für das, was um mich herum geschah. Für das Leben, das die Erwachsenen führten. Für die Schwierigkeiten und Sorgen, die sie hatten. Damals wurde Little Italy noch von der Mafia dominiert. Und die zog die Strippen nicht nur im Hintergrund. Ich habe nicht selten brutale Gewaltausbrüche auf offener Straße erlebt.
Wurden Sie auch persönlich bedroht?
Nicht wirklich. Aber wir liefen alle wie auf rohen Eiern herum. Man musste aufpassen, dass man kein falsches Wort sagte. Oder zur falschen Zeit am falschen Ort war. Mein Vater hat uns da geschickt hindurchmanövriert.
Kommt daher Ihre Affinität zur Gewalt?
Was meinen Sie damit?
Wird Ihnen nicht oft vorgeworfen, dass Sie in Ihren Filmen Gewalt verherrlichen?
Das ist ein großes Missverständnis. Ich verherrliche Gewalt nicht. In keinem meiner Filme habe ich das je getan. Aber ich will realistische und authentische Filme drehen. Und wenn sie im Mafia-Milieu spielen, gibt es eben dann und wann ein paar Tote. Ich nehme mir die Freiheit, diese Morde so präzise wie möglich darzustellen. Ich hatte zum Beispiel bei „GoodFellas“ und „Casino“ einen Ex-Killer als Berater am Set.
Auch in „Silence“ gibt es explizite Gewaltdarstellungen. Musste das sein?
Kreuzigung, Kopf abschlagen, Ersäufen, Folter – wie wollen Sie das anders darstellen? Ob das Missionaren in Japan passiert oder rivalisierenden Banden in New York: Gewalt ist eben ein wesentlicher Bestandteil des Lebens. Meine Filme zeigen den Menschen in der Krise, im Konflikt mit sich und Gott und der Welt, in einem moralischen Dilemma.
Kann man anhand Ihrer Filme Ihren aktuellen Geisteszustand ablesen?
Durchaus. Auch meinen Gefühlszustand. Aber das ist ja nicht überraschend. Ich mache seit jeher Filme über die Conditio humana. Und ich bin nach wie vor ein Sucher.
Finden Sie dabei manchmal auch etwas?
Natürlich. Es wäre ja schrecklich, wenn nicht. „Silence“ hat mir zum Beispiel wieder klar gemacht, wie wichtig es ist, das Leben so bewusst und verantwortungsvoll wie nur möglich zu leben.
Haben Sie sich im Laufe Ihres Lebens sehr verändert?
Die Zeit verändert uns doch alle. Nichts formt einen so wie das Leben. Das Gute am Älterwerden ist, dass ich herausgefunden habe, dass ich vieles nicht mehr brauche.
Worauf wollen Sie dennoch nie verzichten?
Auf meine Frau. Ich bin seit fast 20 Jahren wieder glücklich verheiratet. Wir haben eine wundervolle Tochter.
Haben Sie eine Überlebensstrategie?
Ich lache gern. Ich weiß, die Leute halten mich oft für grüblerisch und missgelaunt. Das bin ich zwar auch, aber nicht nur. Wenn ich meinen Humor nicht hätte, wäre ich schon längst nicht mehr hier.
Apropos Freunde: Robert De Niro wünscht sich nichts mehr, als noch einen Film mit Ihnen zu machen. Haben Sie ihn inzwischen erhört?
Ja, wir machen tatsächlich zusammen einen weiteren Film. Er heißt „The Irishman“.
Stimmt es, dass es für Papst Franziskus eine Sondervorführung von „Silence“ gab?
Ja, der Film hat ihm gefallen.
Haben Sie ihm bei dieser Gelegenheit eine DVD von „Die letzte Versuchung Christi“ gegeben?
(Lacht) Nein, dafür gab es nicht den richtigen Moment.
Alle Artikel