"Ich brauchte die Exzesse und den Kontrollverlust"

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Dieses Interview erschien erstmals in der Juni-Ausgabe 2012

Unser oberster Punkrocker Campino über Flachmänner im Tonstudio, Sex nach Konzerten, seine letzte Schlägerei und was man in 30 Jahren als Frontmann der Toten Tosen sonst noch so erlebt

Guten Morgen, Berlin. Andreas Frege steht vor dem Kühlschrank in seiner Altbauwohnung im Stadtteil Charlottenburg und riecht an der Milchtüte. Dann sagt er: „Oh, wir sollten lieber schwarz trinken.“ Der Mann wohnt nicht immer hier. Unter seinem Künstlerna - men Campino wird er eher woanders verortet: in seiner Heimatstadt Düsseldorf, bei Spielen seiner Lieblingsvereine FC Liverpool und Fortuna Düsseldorf oder im Tour-Bus mit seinen Jungs. Campino, der Sänger der Toten Hosen, hat einst den Punk in die Charts gebrüllt, heute verkörpert er eine der stabils - ten und erfolgreichsten Rock-Institutionen des Landes. Mit seiner drahtigen Figur, dem verschlagenen Lächeln, den immer etwas un - ordentlichen Haaren verströmt der 49-Jährige noch immer den Charme eines ewigen großen Jungen. Doch drei Jahrzehnte Unterwegssein haben ihre Spuren hinterlassen. Und zum familiären Toten-Hosen-Reich ist der ZweitHeimathafen Berlin hinzugekommen – wo er viel Zeit mit seinem achtjährigen Sohn Lenn (aus der Beziehung mit der Schauspielerin Karina Krawczyk) verbringt. Hier empfängt Campino auch den Playboy zum Gespräch.

Die Toten Hosen gibt es seit 30 Jahren, Sie werden im Juni 50. Hätten Sie früher gedacht, diese für Punkrocker erstaunlichen Jubiläen jemals zu erreichen?

Als wir 1982 loslegten, konnte ich mir nicht vorstellen, dass man von solch einer Musik überhaupt leben kann. Ich habe spät mein Abi gemacht, weil ich zweimal hängengeblieben bin. Das kam mir sehr entgegen, weil ich nicht wusste, was ich werden sollte. Für mich gab es damals nur die Musik. Keinen anderen Plan.

Die große Zeit des Punk in England war da bereits vorbei, oder?

Als Modeerscheinung definitiv, aber nicht als Lebenshaltung. In Deutschland war es ohnehin anders: Da kam der Höhepunkt erst in den frühen 80ern. Und es war oft eine ziemlich uniformierte Sache: Lederjacken und klare Parolen wie „Scheiß-Bullen“. Dann kamen wir daher und haben mit ZK, der Vorläuferband der Hosen, so einen Dadaismus in die Sache hereingebracht. Diese Art von Humor lag nicht unbedingt auf Linie, zeigte aber Courage, weshalb uns auch die harte Fraktion der Punks immer akzeptiert hat.

Wann wurde aus Spaß dann Ernst?

Zur Anfangszeit der Hosen haben wir überall gespielt, in Jugendzentren und besetzten Häusern. Dann wurden die Hallen einfach größer, ohne dass wir etwas an unseren Akkorden ver- ändert hätten. So ab 1987, mit dem Album „Ein kleines bisschen Horrorshow“, kam allmählich sogar genügend Geld rein, dass wir davon leben konnten.

Wie war das, plötzlich zum Mainstream zu gehören?

Der Ruhm war mit sehr viel Stress verbunden. Touren, Interviews, ständige Entscheidungen – das kannten wir so nicht. Da hatte man schon Identitätskrisen: Bin ich noch der, der ich einmal war? Wo hört die Party auf? Gehe ich immer noch sternhagelvoll in ein Konzert und riskiere, dass ich es nicht durchhalte? Es hat zeitweise zwischen Professionalität und Party richtig gebrannt. Man war zwar schon um neun Uhr früh im Aufnahmestudio, aber heimlich kursierte da bereits der Flachmann. Und es gab auch die Bankrotterklä- rung, nach nur zwei Stücken ein Konzert abbrechen zu müssen. Das war dann nicht mehr so lustig.

Welche war die härteste Phase?

1988 hatte ich einen lauten Wake-up-Call. Während einer anstrengenden Tour war ich pausenlos drauf. Irgendwann war ich vier Tage am Stück wach – bisich dann mit einem Kreislaufzusammenbruch und angerissenen Stimmbändern ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Ich saß da und bekam keinen Ton aus meinem Hals. Der Arzt hat sofort erkannt, was Sache ist, und mir ziemlich klar gemacht, dass ich das so nicht mehr lange durchhalte.

Über welche Drogen sprechen wir?

Heroin habe ich nie genommen, aber alles andere wurde gerne ausprobiert. Ich habe diese Exzesse und den Kontrollverlust gebraucht. Ich hatte Glück und bin ein recht stabiler Typ, kann einiges ab. Empfehlungen für andere habe ich mir immer verkniffen. Allerdings waren die Einschusslöcher im Bandgefüge schon sehr nah. Einen unserer besten Freunde, den Roadie Bollock, konnten wir nicht retten, als er mit Heroin abrutschte. Ein anderer Freund landete wegen Kokaindealerei im Gefängnis.

Die Konsequenz?

Über Alkohol habe ich nicht nachgedacht, aber von da an habe ich zumindest keine härteren Sachen mehr vor Konzerten eingeschmissen. Ansonsten haben wir gegenseitig auf uns aufgepasst, uns selbst therapiert.

Konzerte der Toten Hosen waren berüchtigt, es wurde auch heftig geprügelt. Mussten Sie Aggressionen abbauen?

So habe ich das überhaupt nicht empfunden. Ich komme aus einem bürgerlichen Elternhaus, bin aufs Gymnasium gegangen. Die Gewalt war nun wirklich kein Ventil für mich, um eine harte Jugend zu verarbeiten. Es war eher Übermut. Und es ging darum, Grenzen auszuloten. Dafür bot die Szene, in der wir uns bewegten, auch ausreichend Gelegenheit. Auf Tour landeten wir wie eine Matrosenmannschaft jeden Tag in einem neuen Hafen, und es war meistens ungewiss, wie es an dem Abend ausgehen würde. So kam es zu Schlägereien, auch zu einigen Straßenschlachten mit mit der Polizei. Punks gegen Rocker, Punks gegen Popper. Das war einfach die Zeit damals, es war alles ziemlich aufgeheizt.

Wann haben Sie sich zuletzt geprügelt?

Vor über zehn Jahren in Birmingham. Da habe ich mitbekommen, dass irgendwelche Typen unsere Sicherheitsleute angegriffen haben. Dass ich mich da einmischen musste, war mir aber ziemlich unangenehm, weil es ein Konzert im Ausland und ausgerechnet in England war. Auch die Verwandtschaft meiner Mutter war an dem Abend zu Gast. Es gibt allerdings auch immer wieder Sachen, die im Eifer des Gefechts geschehen und nicht so dramatisch sind. Wenn dir jemand aus dem Publikum zu nahe rückt, schubst du durchaus etwas härter zurück. Das sehe ich aber so wie ein Foul beim Fußball.

Bringen solche Raufereien einen Kick?

Es geht nicht um Spaß, sondern um Glaubwürdigkeit. Was machst du, wenn im Publikum eine Schlägerei losgeht? Spielst du einfach weiter? Brichst du das Konzert ab? Wenn du dich für eine Ansage entscheidest und den Leuten eine letzte Warnung gibst, bist du im Zugzwang. Denn wenn die dann trotzdem weitermachen, musst du handeln. Ansonsten hast du verloren. Also haben wir uns reingestürzt. Und die klare Abmachung in der Band war immer: Wenn einer reinspringt, müssen alle anderen hinterher.

Nie Skrupel gehabt in einer solchen Situation?

Ich habe irgendwann kapiert, dass wir alle Sprachen beherrschen müssen. Anfang der 80er waren Punks für die normale Gesellschaft wie Marsmenschen. Ehe du dich versahst, saßen drei Typen auf dir drauf. Oder dir drückt plötzlich jemand eine Zigarette ins Gesicht. Da kannst du nicht sagen: „Das finde ich jetzt aber nicht so gut.“ Da musst du demjenigen am besten sofort eine schießen. Auf jeden Fall musst du dir eine Strategie aneignen, dich zu wehren. Ich war nie besonders kräftig, aber ich hatte überhaupt keine Hemmschwelle. Ich habe eine Zeit lang Karate gemacht, was mir zusätzlich Selbstsicherheit gegeben hat. Mir war jedes Mittel recht, um durchzukommen. Nur selbst keinen Streit anfangen! Das war ein klares Prinzip.

Fühlen Sie sich in Ihrer Haut als Mann wohl?

Wohlfühlen, ja. Aber es ist nicht dieses Männer-Feeling wie so ein verschwitzter Til-Schweiger-Typ. Oder Beckham in Unterwäsche. Das spricht mich alles nicht an.

Wie definieren Sie Männlichkeit?

Ich mag Freundschaften unter Männern. Enge Freunde umarme ich auch gerne. Mit denen fahre ich auch ein Wochenende in den Wald, und wir schauen, wie weit wir kommen. Für solche Sachen bin ich immer zu haben. Aber ansonsten beschäftige ich mich mit dem Thema Männlichkeit nicht tief gehend. Da setze ich mich lieber mit der Weiblichkeit auseinander.

Woran denken Sie da?

Meist an schöne Dinge. Aber was zum Beispiel die Ausdauer angeht, mit der eine Frau streiten kann, sind wir hoffnungslos unterlegen. Wenn du dir eine Frau zum Feind gemacht hast, ist sie dein erbittertster Gegner – und dann gute Nacht. Doch ohne sie geht es leider auch nicht. Unersetzlich, diese Biester. Nur wer sich verlieben kann, kennt auch das Gefühl des gebrochenen Herzens. Das gibt es für mich nur im Doppelpack. Ich wäre immer bereit, diese Tage, an denen man am Boden liegt, in Kauf zu nehmen für die unbeschreiblichen Hochgefühle. Die normale Mitte ist da eher ein Verlustgeschäft. Ich habe mehrere intensive Beziehungen in meinem Leben geführt. Ich bereue keine einzige.

Wie war Ihr erstes Mal?

Ich war 17. Sie war etwas älter und viel erfahrener als ich. Sie wollte mich locker machen, gab mir ein paar Drogen. Wir haben rumgevögelt, aber es war nicht gerade sensationell. Ich fühlte mich überfordert, wusste noch nicht so recht, was da von mir verlangt wird. Das konnte ich dann erst ein paar Jahre später so richtig einordnen.

Wie halten Sie es mit dem Thema Treue?

Ich tue mich schwer damit, Treue nur über den Tatbestand, ob man sich körperlich herausgehalten hat, zu definieren. Das unerfüllte Verlangen in der Fantasie nach jemand anderem ist ja auch schon eine pikante Angelegenheit. Letztlich ist es in jeder Beziehung eine Frage der internen Verabredung. Mein Maßstab ist: Wenn ich eine Frau zutiefst liebe, ist ein Seitensprung ihrerseits für mich kein Grund, die Beziehung zu beenden. Da würde ich mich ja zusätzlich selbst betrafen.

Ist man nach einem Konzert so mit Adrenalin vollgepumpt, dass auch das sexuelle Verlangen zunimmt?

Nee, bei mir nicht. Wenn ich ein Konzert gespielt habe, bin ich erst mal ausgepumpt. Und wenn ich dann wieder Luft habe, feiere ich ausgiebig und denke erst mal nicht an Sex. Alles, was dann später dennoch läuft, wird unter Quickie abgehakt. Wer da noch zu großen Zirkuskunststücken fähig ist, hat auf der Bühne nicht alles gegeben. Ich habe auch noch nie direkt vor einem Konzert etwas gehabt. Da gehen mir andere Sachen durch den Kopf. Da dehne und strecke ich mich. Für eine tolle Frau würde ich mir aber immer eine qualitativ wertvollere Zeit nehmen wollen.

Wie definieren Sie guten Sex?

Zeit haben und gemeinsam auf Abenteuersuche gehen. Zum Beispiel für ein Wochenende mit dem Zug nach Paris fahren und zwischendurch auf der Toilette verschwinden. Solche Sachen.

Stören Frauen eher während einer Tour?

Es ist bei uns nach Jahrzehnten immer noch so, dass vorher die anderen gefragt werden, wenn jemand seine Lady mitnehmen möchte. Zu besonderen Konzerten wird das auch immer abgenickt. Aber generell ist eine Hosen-Tour keine Familienangelegenheit. Andere Männer nehmen ihre Frauen ja auch nicht mit zur Arbeit.

Sie gelten als sexy, als Frauentyp. Es gibt schlimmere Etiketten, oder?

Wir haben uns anfangs wirklich nicht die Frage gestellt, wie wir wirken. Wir waren im besten Sinne eine raue Jungenband. Das ist historisch belegt! Auch Fotos wurden nicht inszeniert. Das fing erst an, als wir die Hamburger Fotografin Gabo bei einer TV-Aufzeichnung kennen lernten. Sie war wirklich die Erste, die uns mit den Augen einer Frau gesehen hat. Ich habe mich auch schwer in Gabo verliebt, und wir waren dann fünf Jahre lang ein Paar. In dieser Zeit haben die Toten Hosen ein etwas anderes Image bekommen. Erst dann fingen auch Frauenmagazine an, sich für uns zu interessieren.

Mit welchen Folgen?

Ich war schon 30 Jahre alt, konnte damit also umgehen. Aber vorher war das Aussehen wirklich kein Thema. Ob man es mir glaubt oder nicht: Damals war ein guter Kumpel wichtiger als ein OneNight-Stand. Ich kann mich erinnern, da gab es an einem Abend mal ein Mädel, das auf mich scharf war und das ich mit nach Hause nehmen wollte. Doch unerwartet kam ein Freund aus Hamburg vorbei. Der suchte einen Platz zum Schlafen. Das hatte Priorität und so wurde die Frau wieder weggeschickt.

Sie wollen uns jetzt nicht erzählen, dass es nie Groupies bei den Toten Hosen gegeben hat?

Flirts und Sexgeschichten haben sich ergeben, ich wollte irgendwann herausbekommen, was Sache ist. Aber ich hatte nie dieses Gefühl, verdammt noch mal, was bin ich cool; ich muss nur auf eine zeigen, und schon läuft es. Wenn, dann habe ich die entscheidenden Pluspunkte übers Gespräch gemacht, wenn man eine gemeinsame Wellenlänge gefunden hat, zusammen lachen konnte.

Haben Sie mal über eine Solokarriere nachgedacht?

Das musste ich nicht, denn ich konnte eigentlich immer alle meine Ideen in dieser Band verwirklichen. Meine Solo-Trips habe ich dann eher auf meinen Reisen verwirklicht. Außerdem habe ich es sehr genossen, mich immer wieder schauspielerisch auszuprobieren. Als mich KlausMaria Brandauer anrief, um mich für seine „Dreigroschenoper“-Inszenierung in Berlin zu besetzen, war ich Feuer und Flamme. Der Mann war ein Held für mich – und dann konnte ich ein halbes Jahr mit ihm arbeiten. Eine Lektion fürs Leben. Man lernt, seinen Körper bewusst einzusetzen, ganz anders über eine Bühne zu gehen. Und mit Wim Wenders durfte ich schließlich den Film „Palermo Shooting“ drehen.

Die Kritiken waren durchwachsen.

Brandauer und Wenders sind gestandene Männer. Sie stehen immer noch in einem guten Licht da, obwohl sie einmal mit mir gearbeitet haben. Entscheidend ist für mich: Es waren wichtige Prüfungen, bei denen ich allein im Feuer stand – und keine schützende Band um mich hatte.

YouTube ist gnadenlos. Dort sind legendäre TV-Auftritte von Ihnen abgespeichert, sogar bei „7 Tage, 7 Köpfe“ haben Sie mal mit Mike Krüger herumgeblödelt. Da wirken Sie wie der Punk-Clown der Nation...

Oh, ja, „7 Tage, 7 Köpfe“ war grenzwertig. Mit der Popularität hatte irgendwann ein gewisser Automatismus eingesetzt: Ein Sender rief an, es hieß, es sei für eine gute Sache, und plötzlich saßt du in einer ziemlich bescheuerten Runde. Ich lief Gefahr, mich da zu verzetteln, nur die Rolle des Paradiesvogels einzunehmen. Davon bin ich aber geheilt, ich gehe kaum noch in Talkshows.

„Draußen vor der Tür“, ein Song des neuen Albums, handelt von Ihrem verstorbenen Vater. Was steht dahinter?

Ich bin ihm doch ähnlicher, als ich das früher wahrhaben wollte. Aus der Erfahrung mit dem Zusammenleben mit meinem eigenen Sohn verzeihe ich ihm jetzt vieles – auch seine heftigen Reaktionen. Denn das war auch eine hilflose Sorge, dass ich auf die schiefe Bahn gerate. Seine Härte entstand eigentlich aus einer Angst heraus. In vielen Situationen muss ich heute über mich selbst lachen, manchmal ist es aber auch erschreckend, was man von seinem Vater alles angenommen hat.

Was zum Beispiel?

Mein aufbrausendes Temperament. Wenn es in Diskussionen ans Eingemachte geht, stelle ich fest, dass ich sehr ungerechte Attacken fahren kann. Dann bin ich meinem Vater in der verbalen Kriegsführung sehr ähnlich. Er konnte sehr laut werden. Und als Richter musste er immer das letzte Wort haben.

Haben Sie Angst davor, spießig zu werden?

Was heißt schon spießig? Man hat eine Kleinfamilie und wohnt im Vorstadthäuschen, weil das Geld nur dafür reicht? Damit habe ich überhaupt kein Problem. Mit 50 Jahren schreie ich auch keine Parolen mehr heraus für Kids, die sich radikal von ihren Eltern abgrenzen wollen. Das bin ich nicht mehr. Denn allein durch mein Vatersein ist eine ganz andere Erdung da. Das Leben dreht sich nicht mehr nur um einen selbst. Da ist jemand, der schaut zu dir auf, der wäre enttäuscht, wenn du dich hängenlässt.

Verantwortung statt Anarchie?

Mit dem Begriff Verantwortung konnte ich mit Ende 20 überhaupt nichts anfangen. Bei unseren Konzerten hieß es immer: Betreten auf eigene Gefahr! Wir übernehmen als Tote Hosen keinerlei Verantwortung. Das war aber ein Riesenirrtum. Spätestens seit dem Tod eines Mädchens bei unserem 1000. Konzert denke ich darüber radikal anders. Und wir haben in den 30 Jahren als Band schließlich eine mittelständische Firma aufgebaut. Die Leute sind mit uns gewachsen. Für die wäre es schwierig, einfach woandershin zu wechseln. Auch diese Verantwortung spüre ich.

Sie sind erfolgreich, sozial engagiert und Kopf eines gesunden Unternehmens. Eigentlich sind Sie der Uli Hoeneß der deutschen Rockszene.

Es ist ja bekannt, dass ich Uli Hoeneß trotz der leidenschaftlichen Gegnerschaft zum FC Bayern großen Respekt zolle. Er war als Spieler sehr gut, und er ist es auch als Manager. Letzteres trifft auf mich leider nicht zu: Ich bin kein guter Geschäftsmann, hatte aber das Glück, in meinem Umkreis Leute gefunden zu haben, die sich darum kümmern. Ich habe in 30 Jahren nicht eine Rechnung kontrolliert.

Wie erklärt sich der Titelsong des neuen Albums – „Ballast der Republik“?

Wir Deutschen tragen immer noch diesen Ballast der Geschichte auf unseren Schultern: den Zweiten Weltkrieg, Hitler, die Teilung nach dem Krieg. Ich habe diesen Song zusammen mit dem Rapper Marteria geschrieben. Der ist 20 Jahre jünger als ich und stammt aus dem Osten, aus Rostock. Wir wollten den Ausdruck für ein gemeinsames Gefühl finden. Denn: Auch wenn sich das Selbstwertgefühl der Deutschen zunehmend entkrampft hat, etwa durch die tolle WM 2006, können wir den Fragen aus der Geschichte letztlich nicht ausweichen. Es ist mir wichtig, uns auf unserem Jubiläumsalbum nicht nur zu feiern, sondern zugleich den Blick von der Gegenwart in die Zukunft zu richten.

Werden Sie bei der EM wieder den Engländern die Daumen drücken?

Wer mich und meine deutschenglische Familiengeschichte kennt, der weiß, dass ich meinen Teams treu bleibe: dem englischen Nationalteam, dem FC Liverpool und vor allem Fortuna Düsseldorf, dem Verein, dem ich eisern bis in die Niederungen der Vierten Liga gefolgt bin. Warum sollte ich daran etwas ändern?

Weil die deutsche Mannschaft inzwischen anders spielt...

Wenn ich objektiv wäre, würde ich sagen: Ja, die spielen erfrischenden Offensiv-Fußball. Ich bin aber nicht objektiv, deshalb fange ich jetzt nicht an, das deutsche Team heimlich zu mögen. Ich kann es respektieren, aber mehr ist nicht drin.

Verstehen Sie Ihre Bühnenshow auch als Sport?

Das war für mich immer etwas extrem Körperliches. Ich feuere meine Energie ins Publikum – und die kommt dann auch voll zurück.

Das heißt: Solange dieses Level erreicht wird, gibt es die Hosen noch?

Noch mache ich mir darüber keine Gedanken. Nach mehreren Jahren Tourpause muss ich aber erst mal schauen, wie gut es noch geht.

Welche Rockmusiker schaffen es, in Würde zu altern?

Iggy Pop ist der große Vorreiter, neben Lemmy Kilmister. Und ich freue mich riesig auf jedes Nick-Cave-Konzert, weil da immer wieder mit Überraschungen zu rechnen ist.

Und die Rolling Stones?

Da bin ich mir nicht sicher, ob ich Mick Jaggers Arschwackeln mit 70 noch super finde oder nur okay.

Wie werden Sie Ihren Fünfzigsten feiern?

Ich mag eigentlich keine Partys auf Datum, habe Geburtstage nie groß gefeiert. Aber dieses eine Mal wird die Ausnahme. Da hauen wir mit Freunden richtig auf den Putz. Es wird die erste und letzte Fete dieser Art sein.